Als ich erwachte, war es dunkel im Abteil. Alle schliefen. Bis auf den Mann, dem ich meine Kopfhörer geliehen hatte. Der war weg. Der Zug der indischen Eisenbahn ruckelte irgendwo zwischen Haridwar und Varanasi durch die Nacht. Ich saß am Ende meiner Pritsche und spürte die Füße des Alten, mit dem ich sie mir teilen musste, an meiner Flanke. Er schnarchte.
10 Stunden vorher hatte ich im Café auf der Dachterrasse meines *Hostels gesessen. Andauernd lud ich die Seite der indischen Eisenbahn neu. Denn obwohl ich das Ticket für meine Fahrt in die Stadt, wo sie die Toten im Ganges verstreuen, bereits ein Woche zuvor gebucht hatte, stand ich noch auf der Warteliste.
Das war auch kein Wunder. Denn nur 100 Kilometer von Varanasi entfernt fand gerade das größte Festival der Welt statt. Sie nennen es Kumbh Mela. Dort pilgerten über 2 Monate ungefähr 140 Millionen Menschen hin.
Ich blickte wieder auf mein Handy. „Drei verdammte Plätze.“ Reload. Aber es tat sich nichts. Es waren nur noch vier Stunden bis zur Abfahrt.
Warten
Draußen schüttete es. „Was machst Du, wenn es nicht klappt“, fragte mich einer der anderen Backpacker, die in dem Café herumlungerten. „Keine Ahnung“, entgegnete ich und blickte fragend zu einem der Angestellten, die bei mir am Tisch Joints bauten. „Habt ihr noch was frei?“ Er leckte die Klebestelle an, rollte die Tüte zu und sah zu mir hoch. „Nein. alles voll. Aber mach dir keine Sorgen, Bro.“ (Bro sagten sie gern in Indien) „Du kannst hier im Café schlafen.“
Das Wasser drückte sich bereits durch die Tür hinein und ich überlegte, ob es nicht sogar besser wäre, wenn ich den Zug nicht bekäme. „Aber was dann?“ Ich war bereits eine Woche in Rishikesh und morgen würden die Züge nicht weniger voll sein. „Nein“, sagte ich zu mir selbst, „wenn die Reservierung bestätigt wird, fahre ich. Regen hin, Regen her.“
Wenns voll ist, wird zusammengerückt
Zwei Stunden später war es soweit. Meine Sitz wurde „confirmed“. Allerdings standen da die Buchstaben „RAC“. Ich bemühte Google und fand heraus das „RAC“ „Reservation against Cancellation“ bedeutete. Weil also alles voll war, machten sie aus einem Platz für eine Person einfach einen für zwei. Ich würde mir meine Liege mit einem Fremden teilen müssen. „Scheiß drauf. Sonst sitze ich hier ewig fest.“
Regen, Motorrad, Bus – Abenteuerreise zum Bahnhof
Es war Zeit aufzubrechen. Ich schnallte mir meinen beide Rucksäcke um und verabschiedete mich. Der Bahnhof war ungefähr eine Stunde weit weg und zum Glück hatte der Regen etwas nachgelassen. Denn ich musste zunächst 10 Minuten bis und über die große Hängebrücke Lakshman Jhula laufen. Dort wollte ich mir ein Taxi nehmen. Die verlangten aber einen völlig übertriebenen Preis und da habe ich meinen Stolz. Regen hin, Regen her.
Also lief ich bis zur Hauptstraße, wo mich ein Motorrad bis zur Bushaltestelle mitnahm. Natürlich machte der Fahrer das auch nicht umsonst. Aber der Preis war akzeptabel und er brauste mit einer ziemlich hohen Geschwindigkeit auf einer ziemlich löchrigen Straße, auf der das Wasser ziemlich hoch stand. Wenn ich dem Inder über die Schulter schaute, wurde ich leicht panisch. Aber das kam nicht allzu oft vor, weil ich mich hauptsächlich darum kümmern musste, nicht rücklings runterzufallen mit meinen zwei Rucksäcken.
Am Busbahnhof fand ich schnell ein paar Einheimische, die ebenfalls nach Haridwar – das ist die Stadt, wo der Bahnhof war – wollten. Ich gesellte mich zu ihnen und ging somit sicher, dass ich den Bus nicht verpassen würde.
Allerdings wussten die auch nicht so genau, wann der Bus kommen würde bei diesem scheiß Wetter. Also, schlugen sie vor, dass wir uns zu viert ein Tuk Tuk teilen. Doch dazu kam es nicht. Denn als sie die Verhandlungen begannen, kam der Bus. „Endlich im Trockenen.“
Der Fremde in meinem Bett
In Haridwar lief alles wie am Schnürchen. Ich war schon öfters in Indien mit der Eisenbahn gefahren und wusste, wie ich meinen Zug bzw. mein Abteil fand. Ich fand auch meine Liege rasch. Mein unbekannter Partner, mit dem ich sie teilen sollte, war nicht da. Gerade als in mir die Hoffnung aufkeimte, dass ich vielleicht doch ein Bett für mich haben könnte, kam ein alter Mann und erklärte mir, dass das sein Platz sei.
Nach einigem Hin und Her und einigen Erklärungen der anderen Fahrgäste, – in Indien ist es normal, dass aus einem Problem eine Gruppendiskussion entsteht – die sich unsere Tickets angeschaut hatten, war klar, der alte Mann und ich waren für die nächsten 13 Stunden Bettgenossen. Ich lächelte falsch und nickte.
Die Nacht im Zug
Einer der Helfer fragte mich, ob er sich meine Kopfhörer borgen könne. Ich gab sie ihm, setzte mich ans Ende meiner Liege und mein Kopf wurde schnell schwerer und schwerer , als sich der Zug auf den Weg in die indische Nacht machte.
Als ich erwachte, der nette Mann mit meinen Kopfhörern weg war und sich mein Bettpartner auf der Liege breit gemacht hatte, war ich mäßig begeistert. Dann bemerkte ich, dass eine Liege, nicht weit von meiner halben, leer war. Ich blickte neugierig dort hin und dann im Abteil herum. Wie immer in Indien wurde ich von einem Einheimischen beobachtet. Als sich unsere Blicke trafen, bedeutete er mir mit einem Nicken, dass ich mich dort hinlegen solle. Meine Laune wurde schlagartig besser.
Zwar weckte mich irgendwann jemand, der zugestiegen und diese Liege reserviert hatte, aber nach ein, zwei Stunden, die ich am Ende meiner Pritsche sitzend verbrachte, fand ich wieder eine leere, die ich besetzen konnte.
Die Sonne über Varanasi
Als der Zug in Varanasi einrollte, schien die Sonne. Ich war zwar nicht komplett ausgeschlafen, aber das schöne Wetter und die Aufregung, diese legendäre Stadt kennenzulernen, machten mich wach.
Ich verließ den Bahnhof, schnappte mir ein Tuk Tuk zu meinem Hostel. Kurz standen wir im Stau, weil auf der Straße eine Anti-Pakistan-Demonstration stattfand. Ein Horde Männer trug eine Puppe vor sich her und schimpfte auf den Erzfeind. Kurz darauf erreichten wir mein *Hostel. Dort nahm ich erstmal in dem Café auf der Dachterrasse Platz und steckte mir eine Zigarette an.
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