„I survived Eau Rouge“ – die besten Geschichten der F1-Strecke in Belgien

Das ist die legendäre Eau Rouge auf der Ardennen-Achterbahn. (Foto: ruti)

Circuit de Spa-Francorchamps, Ardennen-Achterbahn, Schumis Wohnzimmer – die Formel-1-Strecke in Belgien ist eine Legende. Mit Anekdoten von der Piste könnte man einen ganzen Abend füllen (ein paar erzähle ich weiter unten). Als ich für meinen Job dort war, kam ich in den Genuss, eine Runde über den Kurs zu laufen. Für mich ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen.

Ein Boxengassen-Selfie auf dem Circuit de Spa-Francorchamps (Foto: ruti)
Ein Boxengassen-Selfie auf dem Circuit de Spa-Francorchamps

Es war der Samstagabend der Saison 2015. Nach dem Formel-1-Qualfying, der GP2, GP3 und dem Porsche-Cup war es so weit. Die Strecke wurde für akkreditierte Personen geöffnet. Glücklicherweise war auch ich einer davon. Gemeinsam mit einer Kollegin betrat ich die Boxengasse und posierte vor der Garage von Sebastian Vettel. Andere Journalisten und Mitarbeiter gingen auf dem Kurs joggen oder radfahren.

Dann liefen wir auf die Start- und Zielgerade, wo Vettel und Co. am nächsten Tag zum 60. Großen Preis von Belgien antreten sollten.

Hier überschreitet man die magische Barriere zur Boxengasse. (Foto: ruti)
Hier überschreitet man die magische Barriere zur Boxengasse.

„Schumi, Fritten und Bier – dafür sind wir hier“

Die Strecke liegt in den Ardennen zwischen den Örtchen Spa, Francorchamps und Malmedy in der Gemeinde Stavelot. 1921 wurde sie eingeweiht. Schon 1950 war sie dabei, als die erste Formel-1-Weltmeisterschaft ausgetragen wurde.

Michael Schumacher debütierte hier in der Formel 1 und niemand gewann den GP so häufig wie der Rekordweltmeister (6 Mal). Schumacher sprach von der Strecke als seinem „Wohnzimmer“. Hier war es auch, als er 1998 in David Coulthard hineinkrachte und mit einem dreirädrigen Ferrari in die Box fuhr, um dann auf den Briten loszugehen (Die Geschichte habe ich hier aufgeschrieben). Früher kamen die deutschen Fans wegen drei Dingen nach Spa und verewigten diese in einem Slogan: „Schumi, Fritten und Bier – dafür sind wir hier.“

Noch stehe ich auf der Start- und Zielgeraden in Spa, am nächsten Tag werden Vettel, Hamilton und Co. das Rennen von hier aus in Angriff nehmen. (Foto: ruti)
Noch stehe ich auf der Start- und Zielgeraden in Spa, am nächsten Tag werden Vettel, Hamilton und Co. das Rennen von hier aus in Angriff nehmen.

Die Natur formte die Strecke

Im Laufe der Jahre wurde der Circuit de Spa-Francorchamps verkürzt und den modernen Sicherheitsbestimmungen angepasst. Trotzdem ist er mit 7 Kilometern der längste im Formel-1-Kalender und ein Kurs klassischer Bauart. Die Natur wurde nicht an ihn angepasst, sondern er wurde in die bergige Landschaft hineingebaut. Deshalb gibt es ungewöhnlich viele Auf- und Abwärts-Passagen. Daher kommt auch der Name „Ardennen-Achterbahn“.

Die Start- und Zielgerade der Ardennen-Achterbahn. (Foto: ruti)
Die Start- und Zielgerade der Ardennen-Achterbahn.

Fangio war der Sieger 1950

Von den 60. Grand Prix in Belgien fanden 2 in Nevilles, 10 in Zoller und 48 in Spa-Fancorchamps statt. Der erste Sieger in Spa hieß nach einem fast dreistündigen Rennen Juan-Manuel Fangio im Alfa Romeo.

Wenn die Startampeln auf Grün springen, rasen die Formel-1-Boliden auf die erste Kurve „La Source“ zu. Sie ist eine Spitzkehre.

Die Spitzkehre La Source (Foto: ruti)
Die Spitzkehre La Source

Mythos Eau Rouge

Danach geht es eine lange Gerade bergab und dann taucht sie auf – die „Eau Rouge“. Sie ist eine der berühmtesten Kurven der Welt, benannt nach dem gleichnamigen Bach, der hier fließt. Unter Motorsport-Enthusiasten ist sie ein Mythos. Früher haben sich nur die mutigsten Fahrer getraut, sie mit Vollgas zu durchfahren. Stefan Bellof verunglückte hier 1985 tödlich, als er versuchte Jacky Ickx in der Eau Rouge zu überholen. Red-Bull-Teamchef Christian Horner erzählte, dass sein Team die Augen geschlossen hielt, als Mark Webber Fernando Alonso hier 2011 in einem waghalsigen Manöver überholte – mit gutem Ausgang:

Auch die anderen Fans feiern den Mythos Eau Rouge (Foto: ruti)
Auch die anderen Fans feiern den Mythos Eau Rouge

Schumacher: „Welche Kurve?“

Als Michael Schumacher in Spa 1991 seinen ersten F1-Grand-Prix absolvierte, fragte ihn sein damaliger Jordan-Teamkollege Andrea de Cesaris, an welcher Stelle er in der Eau Rouge bremsen würde. Schumacher runzelte die Stirn und fragte: „Welche Kurve?“

Villeneuve: „I survived Eau Rouge“

Jacques Villeneuve crashte 1998 und ’99 heftig in die Reifenstapel und stieg beide Male unverletzt aus seinem Auto. 1999 flog auch sein BAR-Teamkollege Ricardo Zonta in der Eau Rouge ab – ein fürchterlicher Unfall. Aber auch der Brasilianer stieg unverletzt aus dem Auto oder was davon noch übrig war. Villeneuve trug danach T-Shirts mit der Aufschrift: „I survived Eau Rouge“.

Extreme Kräfte wirken in der Eau Rouge

Die Eau Rouge ist eigentlich eine Links-Rechts-Kombination zwischen einer Senke und einer Steigung. Die Fahrer rasen den Berg hinunter, dann macht die Straße eine Linksknick, um dann sofort wieder anzusteigen in einer langgezogenen Rechtskurve. Die ganze Passage wird mit über 300 Km/h durchfahren.

Die Fahrer werden zuerst extrem in den Sitz gedrückt, dann sehen sie für eine Sekunde die Straße nicht mehr, sondern nur den Himmel. Oben ist das Auto für einen kurzen Moment schwerelos, allein der Abtrieb hält es auf der Straße.

Blick zurück vom obersten Punkt der Eau Rouge (Foto: ruti)
Blick zurück vom obersten Punkt der Eau Rouge (Foto: ruti)

Heute ist Vollgas Pflicht

Weil die Kurve so gefährlich war, wurde sie an einigen Stellen entschärft und die Formel-1-Autos werden nach dem Start extra durch die langsame La Source geführt, damit sie möglichst einzeln durch die Eau Rouge fahren.

Heute durchfahren alle Formel-1-Fahrer die Eau Rouge mit Vollgas. Das liegt an der verbesserten Sicherheit und den modernen Autos. Doch trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bleibt die Kurve gefährlich. Die mysteriösen Reifenschäden von Nico Rosberg und Vettel am Grand-Prix-Wochenende 2015 wurden möglicherweise durch die extremen Belastungen in der Eau Rouge ausgelöst.

Die Eau Rouge ist das steilste Stück im WM-Kalender. Sie flacher aus, als es ist. (Foto: ruti)
Die Eau Rouge ist das steilste Stück im WM-Kalender. Sie flacher aus, als es ist.

Als wir uns der Eau Rouge näherten, tummelten sich ein paar Dutzend Menschen auf der Strecke. Irgendwo muss offenbar ein Tor offen gewesen sein. Die Fans nutzten ihre Chance, legten sich auf die Piste legten und schossen jede Menge Fotos, bevor die Security angefahren kam und sie von der Strecke vertrieb. Es war ein elitäres Gefühl dann einfach die Akkreditierung zu zeigen und weiterlaufen zu dürfen. Wenig später waren wir ganz allein auf der Strecke.

Das berühmte Willkommens-Schild auf der Ardennen-Achterbahn. (Foto: ruti)
Das berühmte Willkommens-Schild auf der Ardennen-Achterbahn.

Häkkinens Super-Manöver

Die Eau Rouge forderte auch uns, denn sie ist das steilste Stück im Rennkalender.

Danach kamen wir auf die zu Fuß schier endlose „Kemmel-Gerade“, wo Mika Hakkinen mit einem der spektakulärsten Überholmanöver der F1-Geschichte Schumacher und Ricardo Zonta gleichzeitig überholte. Hier im Video, ab Minute 1:05:

Die Kemmel-Gerade ist zu Fuß schier endlos und eine DRS-Zone. (Foto: ruti)
Die Kemmel-Gerade ist zu Fuß schier endlos und eine DRS-Zone. 

Pouhon ist der Kick für die Fahrer der Neuzeit

Für die Fahrer der Neuzeit ist Pouhon, eine abschüssige Doppel-Links-Kurve, die Mut- und Lieblingskurve vieler Fahrer in Spa, vor der sie das Gaspedal kurz lupfen.

Sonnenuntergang über dem Circuit de Spa-Francorchamps (Foto: ruti)
Sonnenuntergang über der Pouhon in Spa-Francorchamps

Die Blanchimont wird ebenfalls gefürchtet

Später kommt noch eine weitere gefürchtete Kurve, die „Blanchimont“. Sie ist eine langgezogene Linkskurve, die mit Vollgas durchfahren wird. Auch hier hat es schon einige schwere Unfälle gegeben. An jenem Tag, als ich über die Strecke spazierte, war GP2-Pilot Daniel de Jong in der Blanchimont nach einer Berührung bei einem Überholversuch abgeflogen und hart eingeschlagen. Er hatte sich dabei einen Wirbel gebrochen.

Etwas körnig, aber das ist die Blanchimont - inklusive der Bremsspuren von Daniel de Jong. (Foto: ruti)
Etwas körnig, aber das ist die Blanchimont – inklusive der Bremsspuren von Daniel de Jong. 

Die Bus-Stop-Schikane ist das letzte Hindernis

Die Blanchimont mündet in die „Bus-Stop-Schikane“. Früher war die La Source die einzige langsame Kurve der Strecke. Damit die Autos nicht so extrem schnell auf die Start- und Zielgerade zu donnern, wurde die Bus-Stop-Schikane eingefügt und später noch einmal verändert.

Als ich diese durchquert hatte, war es bereits dunkel. Lewis Hamilton hat die Strecke an diesem Wochenende in einer neuen Rekordzeit von 1:47,197 Minuten umrundet. Ich habe eineinhalb Stunden gebraucht, aber ich hatte ja auch nur diese eine Runde.

Als ich die Strecke in Spa umrundet hatte, war es bereits dunkel. (Foto: ruti)
Als ich die Strecke in Spa umrundet hatte, war es bereits dunkel. 

Wahrscheinlich ist das für Nicht-Motorsportfans schwer zu verstehen, aber die Streckenumrundung war eine der geilsten Sachen, die ich in meinem Leben gemacht habe. Und ich war nicht der einzige Begeisterte: So wie Touristen gerne Sand von irgendwelchen Urlaubsorten und Trauminseln mitnehmen, sammelten die Rennsportfans in Spa Gummistückchen von den Reifen der Autos, die hier am Limit gefahren sind. Einige sind auch mit ganzen Reifen und stolzem Grinsen an uns vorbeigelaufen.

Nachdem Du die Ardennen-Achterbahn nun einmal mit mir umrundet hast, kannst Du es hier nochmal onboard mit Michael Schumacher im Ferrari machen:

Noch mehr Bilder

Der Artikel erschien am 26. August 2015 und erhielt 2017 ein Update.

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