Auf meiner WM-Reise #rutinachrussland musste ich mich entscheiden: Soll mein Weg nach Russland durch Weißrussland oder durch die Ukraine führen? Beides sind eher ungewöhnliche Ziele und gerade deshalb interessant. Meine Entscheidung fiel auf Weißrussland. Aber einen kurzen Abstecher in die Ukraine unternahm ich dennoch.
Von Polen aus überquerte ich die Grenze ostwärts und stoppte ein paar Tage in der Stadt Lviv, bevor ich weiter gen Norden reiste.
Lviv (auch Lwiw oder Львів), so nennen die Ukrainer die Stadt. Die Russen sagen Lwow (auch Lvov oder Львов) und die Deutschen nennen sie Lemberg.
Perfekt für ein Wochenende
Ich hatte zwar gelesen, dass die Stadt schön sein soll, aber dass man sie ohne Übertreibung in einem Atemzug mit Wochenend-Top-Destinationen wie Prag oder Riga nennen kann, überraschte mich dann doch. Wenn Du also in diesen beiden Städten schon warst und sie mochtest, dann fahre mal nach Lemberg! Die Stadt ist wunderschön und vollgepackt mit Bars – ein echter Geheimtipp für trinkfeste Europa-Reisende.
Genau wie in Riga ist die historische Altstadt Lembergs relativ überschaubar. Lviv ist eine typische Stadt des Magdeburger Rechts mit dem Rathaus im Stadtkern auf einem rechteckigen Marktplatz und den ihn umgebenden Straßen.
Der Marktplatz als Startpunkt für Sightseeing-Touren
Auf dem Marktplatz befinden sich vier Brunnen, von denen derjenige mit der Neptun-Statue das beliebteste Foto-Motiv ist.
Die Brunnen sind außerdem der Ausgangsort für die Free-Walking-Touren der Stadt.
Es gibt zwei Anbieter: Lviv Buddy und Walkative. Bei Ersterem habe ich eine normale Stadtkern-Tour gemacht und beim zweiten eine Tour hinauf zum Schloss-Berg. Beide Touren waren gut und vieles, von dem, was ich hier erzähle, habe ich dort erfahren.
Bei Walkative war ich der einzige Teilnehmer, aber Nadja, der Guide (oder muss ich Guidin sagen?), hat die Tour trotzdem gemacht, so dass ich eine Privatführung hatte, was natürlich sehr cool war. Ich konnte mir aussuchen, was ich gern sehen und wissen wollte.
Namenkunde
Der Schlossberg ist übrigens der Ursprung des deutschen Namens Lemberg. Denn es war ein Berg aus Lehm auf dem das sogenannte High-Castle errichtet wurde.
Wer hier allerdings ein Schloss erwartet, wird enttäuscht. Denn davon ist nur noch der Name des Berges und diese Mauer übrig:
Apropos Mauer: Mitten in der Stadt befindet sich ein weiteres Fragment. Es ist ein Teil der Stadtmauer, die auffällt, weil die Bruchstelle nicht renoviert wurde.
Woher der Name Lemberg kommt, wissen wir bereits. Auch die anderen Namen Lviv und Lwow hängen mit dem High-Castle zusammen. Denn Daniel Romanowitsch von Galizien errichtete die einstige Burg für seinen Sohn Lew im Jahre 1256, was gleichzeitig die Gründung der Stadt bedeutete. Der Name Lew kommt vom slawischen Wort für Löwe. Aus Lew wurde Lwiw, die deshalb die Löwenstadt wurde. Überall in Lviv traf ich auf Statuen und Abbildungen der Raubkatze.
Architektur und Gastronomie
Aber es sind nicht die Löwen, die Lviv so angenehm machen, sondern die Mischung aus beeindruckender Architektur und guter Gastronomie in fußläufiger Distanz:
Da in der Stadt viele Religionen zu Hause sind, gibt es auch einige ansehnliche Kirchen zu bestaunen.
So beispielsweise die Dominikanerkirche: Weit oben auf ihrer Front prangt der lateinische Schriftzug „Soli Deo honor et gloria“ („Nur Gott gebührt Ehre und Ruhm“). Der Schriftzug war für die Menschen zunächst von keinem Winkel aus komplett lesbar. Denn er war ausschließlich für den Herrn bestimmt. Erst als gegenüber Häuser errichtet wurden, änderte sich das.
Außerdem gefiel mir die Boim-Kapelle mit ihren aufwendigen Verzierungen besonders gut. Sie wurde als Grabmal für die Familie Boim errichtet und ist über einen unterirdischen Gang mit dem Haus der Familie verbunden. Heute ist in der Kapelle ein Museum.
Neben spektakulären Bauten und hübschen Häuschen gibt es in Lemberg auch immer wieder Häuser, denen der Verfall anzusehen ist. Überhaupt ist das typisch für Länder der ehemaligen Sowjetunion.
Monumente für Trinker und Masochisten
Genug davon und zurück zur Trinkkultur: In einer Stadt mit so vielen Bars ist die Gefahr eines Bierbauches relativ hoch. Deshalb hat man sich etwas einfallen lassen und ein Bierbauch-Denkmal errichtet.
Wenn man es reibt, soll man selber davon verschont bleiben. Ich habe das selbstverständlich nicht nötig, aber gerieben habe ich trotzdem mal – sicherheitshalber.
Gleich daneben steht eine Dame, die dem Trinkerkönig die Krone aufsetzt, wenn er ihr dafür an die freigelegte Brust fasst. Der Trinkerkönig fehlt aber in der Darstellung und wird gerne von denjenigen ersetzt, die aus der dahinter liegenden Kneipe stolpern.
Beide Monumente liegen ein wenig versteckt in einem Hofeingang, den Du von der Staroievreiska Street gegenüber der Hausnummer 10 erreichen kannst.
Da wir schon bei witzigen bzw. kuriosen Denkmälern sind, will ich auch das des Herrn Leopold von Sacher-Masoch erwähnen. Sacher-Masoch war ein Schriftsteller, der in Lemberg geboren wurde. Auf seine Darstellungen von Erotik geht der Begriff Masochismus zurück.
Lviv hat seinem Sohn eine Bronze-Statue gebaut, die über eine Hosentasche verfügt, in die jeder hineingreifen darf. Darin kann dann sein bestes Stück ertastet werden. Folglich wird Sacher-Masoch meistens von kicherenden Frauen umgeben.
Die Statue steht vor einem Museum, dass gleichzeitig ein Restaurant ist, welches Sacher-Masoch gewidmet ist. Den Eingang stellt ein Schlüsselloch dar.
Ukrainisches Essen
Ich bleibe bei den schönen Dingen des Lebens und will nun über das Essen reden.
Das berühmteste ukrainische Gericht ist mit Sicherheit Borschtsch, eine Rote-Beete-Suppe, die sowohl kalt als auch heiß gegessen werden kann.
Ein simples aber typisches Selbstbedienungs-Restaurant mit ukrainischer Landeskost liegt nahe der Uni und heißt „Пузата Хата“ (Pusata Chata). Du findest es in der Sichovykh Striltsiv Vulitsa 12.
Es gibt natürlich Hunderte weitere Restaurants in der Altstadt. Die will ich auch gar nicht alle erwähnen, sondern lediglich das „криївка“ (Kriyvka), von dem ich nicht einmal weiß, wie das Essen dort ist. Aber die Kneipe ist eine Reminiszenz an die ukrainische Widerstandsarmee aus dem 2. Weltkrieg und spielt mit diesem Image.
Kriyvka heißt Versteck. Um hineinzukommen, müssen die Gäste das Passwort „Slawa Ukraini“ (Ehre der Ukraine) rufen. Daraufhin antwortet ein Soldat mit „Ehre den Helden“ und fragt ob Moskoviten, Verräter oder Kommunisten vor der Tür stehen. Wenn die Gäste das verneinen, wird ihnen Zugang gewährt.
Es gibt Honigschnaps und allerlei Dekorationen im Zeichen des Widerstands. Im Hinterhof steht eine komische Kampfmaschine und man kann sogar bis auf das Dach des Hauses klettern, auf dem ein Trabi mit einem Propeller auf dem Dach steht. Vor dem Ausgang befindet sich außerdem ein Souvenirshop.
Wenn Du eine Free Walking Tour mit Lviv Buddy machst, ist ein Stopp dort inklusive. Nur Honigschnaps haben wir nicht bekommen.
Lwiw und das Verhältnis zu Russland
Da ich gerade über den ukrainischen Widerstands spreche, will ich ein paar Worte zum Verhältnis der Ukraine mit Russland verlieren.
Der russisch-ukrainische Konflikt spielt sich ganz im Osten der Ukraine zwischen Russland, der Ukraine und russischen Separatisten ab. Die Lage ist kompliziert und von dem Beef auf der Krim hat wahrscheinlich jeder schon mal gehört. Grob gesagt geht es um Gebietsansprüche. Wer es genauer wissen will, kann sich das gerne ergooglen. Ich will hier lediglich meine Erfahrungen in Lwiw schildern.
Lviv liegt ganz auf der anderen Seite im Westen der Ukraine und die Stimmung dort war ganz klar pro Westen. Russland war nicht gerade beliebt. Alle Ukrainer sprechen fließend Russisch, aber hier unterhielten sie sich auf Ukrainisch. Es war ein Ausdruck der Haltung.
Allerdings war es kein Problem, wenn Ausländer Russisch sprachen, weil zumindest bei meinen sprachlichen Fähigkeiten klar zu erkennen war, dass ich weder Russe noch Ukrainer bin. Wie der Umgang mit den Weißrussen ist, weiß ich nicht.
Nadja von Walkative (siehe oben) erzählte mir, dass russische Touristen sich eigentlich nicht mehr nach Lwiw trauen. Sie hat so gut wie nie Russen in ihren Walking-Touren.
In der ganzen Stadt hängen an den Gebäuden Forderungen, in Russland gefangene Ukrainer freizulassen. Vor allem den Namen des Filmemachers Oleg Senzow habe ich häufig gelesen.
Wenn Russland spielte, war der Fernseher aus
Mein stärkstes Erlebnis zum russisch-ukrainischen Verhältnis hatte ich in Verbindung mit der Fußball-WM:
Man erzählte mir, dass Russland ukrainischen Sendern kein Signal zur Verfügung gestellt hatte, um die WM-Spiele zu übertragen. Deshalb hätten nur wenige Bars die Spiele zeigen können. Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber in der Tat waren Kneipen, die die Fußball-WM ausstrahlten, rar.
Aber ich fand ein Irish Pub, dass alle WM-Spiele live zeigte. Als aber die Russen ihr zweites Gruppenspiel bestritten, gingen die Fernseher aus.
Ein Engländer reagierte daraufhin ziemlich ungehalten und argumentierte, dass dies Sport und keine Politik sei. Aber die Bar-Angestellten blieben hart und sagten: „Wir haben Krieg mit Russland und deshalb zeigen wir deren Spiele nicht.“ Der Engländer verließ die Bar daraufhin schimpfend und ohne zu bezahlen.
Einige Lemberger erzählten mir, dass die starke Abneigung gegenüber Russland nur im Westen des Landes herrschen soll. Je weiter man in den Osten komme, desto pro-russischer werde es.
In Russland erzählten mir die Leute, dass man die Ukrainer als Brüder ansehe und nicht als Feinde…
US-Klassiker auf kyrillisch und der berühmteste Ukrainer
Das für mich beeindruckendste Gebäude in Lviv ist die Oper. Wo nun die Straße verläuft, war früher ein Fluss. Den gibt es immer noch, aber eben unterirdisch.
Auch cool ist das Iwan-Fjodorow-Denkmal hinter bzw. neben der Dominikaner-Kathedrale. Er war der Johannes Gutenberg des russischen Sprachraums und druckte die erste Bibel in kyrillischer Schrift.
Als ich dort war, war gerade Flohmarkt mit alten Büchern und anderem Krams. Wer eine George-Michael-Vinyl mit kyrillischer Schrift auf dem Cover sucht, ist hier richtig.
Damit kommen wir auch schon zum berühmtesten aller Ukrainer. So haben es mir zumindest mehrere Einheimische gesagt. Es handelt sich um Schewtschenko. Aber ich spreche nicht von dem Fußballer, sondern von Taras, einem Lyriker. Der Goethe der Ukraine sozusagen.
Auch wegen der Liebe zu seinem Vaterland und weil er die Rebellion in seine Gedichte verpackte, wird er bis heute verehrt. Natürlich hat auch er in Lwiw ein Denkmal bekommen.
Die Stadt am Rande Polens ist ein echter Hingucker und optimal für einen Wochenend-Besuch. EU-Bürger können sie ohne Visum besuchen. Für mich war die Stadt perfekt, um auf dem Weg von Polen nach Weißrussland kurz mal in die Ukraine hineinzuschnuppern.
Das wars aus Lwiw, Lemberg oder wie auch immer. Küsschen!
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