Sowjetunion – Hammer- und Sichel-Symbole, riesige Straßen, gigantische Statuen, Stalins Türme, romantische Einigkeit und Arbeit für alle – ja, ich stehe auf die Überbleibsel und die Geschichte dieses untergegangen Systems. Doch wenn im heutigen Russland ein Teil dieser Vergangenheit zu Tage tritt, ist das gar nicht so romantisch.
Denn einmal im Jahr wird den Bewohnern der Föderation für 7 bis 10 Tage das heiße Wasser abgedreht.
Ich habe diesen Anachronismus nun zum ersten Mal erlebt.
Ein Zettel an der Tür
Es ist kalt in Moskau – immer noch. Seit nunmehr Monaten wartet das Volk auf den Sommer. Selbst hier, im Klischeeland des Winters ist das ungewöhnlich. Und dann hängt auch noch dieser Zettel an der eisernen Eingangstür: „Bekanntmachung“, steht da drauf. „Aufgrund der Durchführung der hydraulischen Tests wird gemäß des vereinbarten Zeitplans der Zugang des heißen Wassers zu ihrem Haus abgestellt – vom 23.5.2017 0:00 Uhr bis 24 Uhr am 1.06.2017. […] Wir bitten die vorübergehenden Unannehmlichkeiten zu entschuldigen. Das Management des staatlichen Haushalt-Instituts“.
Das bedeutet, dass es nun auch noch in der Dusche kalt wird. Und beim Abwaschen.
Es ist der Zettel der schlechten Laune für die Moskowiten. Und mit wem dieser Zeitplan vereinbart worden sein soll, weiß auch keiner so recht.
So gut wie alle sind betroffen
Die Kaltwasserperiode trifft fast jeden Haushalt in Moskau. Nur wer einen Durchlauferhitzer oder Boiler besitzt, bleibt verschont.
Damit den Bürgern der Schock über das Ausbleiben des kalten Wassers nicht allzu kurzfristig in die Glieder fährt, können sie die Termine dieses aus der Zeit gefallenen Rituals im Internet nachschlagen. Dann weiß jeder, wann ihm der Hahn abgedreht wird (Zur Checkseite).
Neue Rohre, alte Gepflogenheiten
Nicht nur der Mann aus dem Westen fragt sich, warum das gemacht wird. Die offizielle Begründung ist, dass die Rohre ziemlich alt sind und gewartet werden müssen, damit sie die kalten russischen Winter überstehen.
Allerdings fragen sich die Menschen hier, ob das wirklich stimmt. Denn die ungeliebte Tradition sollte eigentlich schon lange der Vergangenheit angehören. Bereits 2005 wurde damit begonnen, die Rohre zu modernisieren, so dass diese Wartung nicht mehr nötig ist.
Die Periode ohne warmes Wasser ist seit dem auch kürzer geworden – früher war sie bis zu einem Monat lang – doch sie existiert weiterhin.
Der Warmduscher improvisiert
Wie auch immer. Als der Stichtag für den Warmwasser-Stopp angebrochen war, habe ich immer wieder den Hahn aufgedreht und festgestellt, dass das Wasser langsam erkaltete bis es schließlich eisig war.
Harte Kerle nehmen das vielleicht so hin und duschen einfach kalt. Ich kann das aber nicht. Meine Freundin hatte mir eine Plastik-Kelle gekauft, mit der ich heißes Wasser vom Wasserkocher mit kaltem aus der Leitung gemischt und mich dann in gutem altem Thailand-Style übergossen habe.
Das dauert natürlich länger und anstatt gemütlich unter der heißen Dusche zu dösen, beschränkte ich mich auf den Wasch-Vorgang.
Vorfreude wie früher auf den Geburtstag
Ich fieberte auf das Ende hin. Noch 4 Tage, noch 3 Tage, noch 2, noch einer…
Gerade hatte ich mich noch einmal mit der Kelle gewaschen, als ich mir beim Zähneputze beinahe die Fresse verbrannte. Doch ich freute mich darüber. Denn ich hatte sie überstanden, diese lustige, lästige Tradition. Nun kann ich mich wieder an der Nostalgie der Sowjetunion erfreuen.
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