Die heilige Stadt My Son und die hinduistische Trinität

Die alte Tempelstadt My Son in Vietnam (Foto: Ruti)

My Son hat nichts mit „Sohn“ zu tun, sondern ist eine Touristenattraktion in Vietnam. Genauer gesagt: eine uralte Ruinenstadt. Ausgesprochen wird ihr Name auch nicht wie im Englischen, sondern: „Mii San“. My Son gibt einen netten halbtägigen Ausflug von Hoi An aus her, bei dem man durch im Dschungel freigelegte verfallene Tempel schlendert und digitale Urlaubserinnerungen schießt.

Wenn man sich aber mit der Vergangenheit der Stadt befasst, entdeckt man eine Blaupause dafür, wie der Mensch so tickt und gleichzeitig eine Allegorie für die hinduistische Trinität. 

Die 3 kosmischen Kräfte

Im Hinduismus gibt es 3 fundamentale Kräfte des Universums: Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung. Sie sind der Grundstein der Reinkarnation, an die die Hindus glauben. Die 3 kosmischen Kräfte bedingen sich gegenseitig im ewigen Kreislauf von Geburt und Tod.

My Son heißt übersetzt „schöner Berg“ und ist eine Tempelstadt in Zentralvietnam. Einst bestand sie aus mehr als 70 hinduistischen Tempeln, deren Architektur bis heute nicht entschlüsselt ist. 1999 erklärte die UNESCO My Son zum Weltkulturerbe.

Aufstieg und Fall der Cham-Kultur

Die Lage im Dschungel mit Bergen im Hintergrund lässt die Ruinenstadt My Son mystisch wirken. (Foto: Ruti)
Die Lage im Dschungel mit Bergen im Hintergrund lässt die Ruinenstadt My Son mystisch wirken.

Die Schöpfung My Sons geht auf das 4. Jahrhundert nach Christus zurück. Das Volk der Cham, das von Ozeanien aus nach Asien kam, errichtete die Stadt als Zentrum ihrer Religion, dem Königreich Champa.

Die Cham-Kultur entwickelte sich prächtig und die Baukunst und ihr Reichtum erlangten Berühmtheit. Im 11. Jahrhundert begann der Niedergang des Cham-Königreichs.

My Son wurde verlassen und vergessen und im Laufe der Jahrhunderte vom Dschungel überwuchert.

Wiederentdeckung nach 800 Jahren

Als die Franzosen My Son entdeckten, war es ganz und gar vom Dschungel überwuchert. (Foto: Ruti)
Als die Franzosen My Son entdeckten, war es ganz und gar vom Dschungel überwuchert.

1898 entdeckten die französischen Kolonialherren in Vietnam die Tempelstadt wieder.

Die Archäologen waren um Erhaltung bemüht und legten My Son frei. Sie trennten auch fast allen Götterskulpturen die Köpfe ab und brachten sie nach Paris in den Louvre, wo sie bis heute ausgestellt sind. Damit zerstörten sie die Figuren aber auch für immer.

Die Franzosen beraubten den Stauten in My Son ihrer Köpfe und brachten sie in den Louvre. (Foto: Ruti)
Die Franzosen beraubten den Stauten in My Son ihrer Köpfe und brachten sie in den Louvre.

Bombenhagel im Vietnamkrieg

Im Vietnamkrieg vermuteten die Amerikaner dort ein Versteck der Vietcong und bombardierten die Stadt heftig. Dabei zerstörten sie mehr als zwei Drittel der Tempel.

Ein zerstörter Tempel der vietnamesischen Stadt My Son. (Foto: Ruti)
Ein zerstörter Tempel der vietnamesischen Stadt My Son.

My Sons rätselhafte Baukunst

Heute ist My Son ein Gemisch aus Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung. Die Stadt besteht aus erhaltenen Tempeln, Rekonstruktionen, zerbombten Bauwerken und zerstörter Landschaft.

Archäologen aus aller Welt bemühen sich, die Tempel wieder aufzubauen. Doch das gestaltet sich äußerst schwierig, denn die Baukunst ist ein Rätsel. Die Cham verwendeten kein Mörtel, dennoch halten die Steine seit Hunderten von Jahren aufeinander. Weil die modernen Wissenschaftler dies zunächst nicht reproduzieren konnten, mussten sie bei den Rekonstruktionen Mörtel verwenden, weshalb diese gegen die Originale stümperhaft wirken.

Hier sieht man sehr schön, wie viel besser die Jahrhunderte alte Bauweise der Cham (linke Wand) verglichen mit unseren heutigen Fähigkeiten (rechts) war. Im Vordergrund sind einige Bomben der Amerikaner, die hier abgeworfen wurden, zu sehen. (Foto: Ruti)
Hier sieht man sehr schön, wie viel besser die Jahrhunderte alte Bauweise der Cham (linke Wand) verglichen mit unseren heutigen Fähigkeiten (rechts) war. Im Vordergrund sind einige Bomben der Amerikaner, die hier abgeworfen wurden, zu sehen.

Um dem Rätsel auf die Schliche zu kommen, nahmen die Forscher einige der übrig gebliebenen Tempel sogar auseinander. Doch auch das brachte nur bedingten Erfolg.

Zwar kommen die neuesten Rekonstruktionen ebenfalls ohne Mörtel aus. Allerdings sind die Originale viel widerstandsfähiger gegenüber dem Verfall in dem feuchten Dschungelgebiet. Schon nach weniger als einem Jahrzehnt färbten sich die roten Ziegelsteine vom Moos grün während die 1200 Jahre alten Bauwerke bis heute weitgehend moosfrei sind.

Bis das Rätsel gelöst ist, lagern deshalb viele der nach dem Bombardement wieder zusammengesammelten Steine in vergitterten Quadern.

Die nach den Bombenangriffen zusammengesammelten Steine lagern hier, bis das architektonische Rätsel von My Son gelöst ist. (Foto: Ruti)
Die nach den Bombenangriffen zusammengesammelten Steine lagern hier, bis das architektonische Rätsel von My Son gelöst ist.

Frankreich rückt die Köpfe nicht raus

Die Archäologen bemühten sich ebenfalls, die fehlenden Köpfe der Götter nachzubilden, doch diese sehen nicht annähernd so ästhetisch aus wie die wenigen Originale, die noch vorhanden sind.

Vietnam bat deshalb die Franzosen, die Köpfe wieder herauszugeben, doch die lehnten ab. So bleiben viele Götter kopflos.

Der Mensch als Zerstörer

Obwohl der Mensch weit gekommen ist und sich moralisch und ethisch deutlich über seinen Vorfahren stehen sieht, zeigt die Geschichte von My Son unsere zerstörerische Seite. In jüngster Zeit schockierte der IS mit der Auslöschung einzigartiger Tempelanlagen und Statuen. Die Geschichte beweist, dass das nichts Neues ist. Kommunistische Regime und alle möglichen Religionen haben sich nicht anders verhalten. Einmalige Bauwerke sind uns scheißegal, wenn sie der Feind errichtet hat.

Oft kann man die Bauten wieder rekonstruieren. Aber das ist nicht dasselbe. Den Rekonstruktionen in My Son fehlt der Flair der Jahrtausende. Und weil wir die Architektur der Cham nicht beherrschen, können wir die Tempel dort nicht einmal genauso wieder aufbauen. Das wird bei einigen anderen historischen Wunderbauten nicht anders sein sein.

Das Prinzip von Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung

Mein Besuch in My Son ließ mich über die Vergänglichkeit von allem Irdischen nachdenken. Vor allem die zerstörerische Kraft des Menschen machte mich traurig. In der hinduistischen Vorstellung des ewigen Kreislaufs von Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung (Trimurti genannt) ist die Zerstörung jedoch notwenig, denn ohne sie kann nichts Neues entstehen. So wie aus den Kratern der B52-Bomben der Amis mittlerweile kleine Seen geworden sind.

Aber wenn wir alles richtig machen, finden wir nach hinduistischem Glauben irgendwann die Erlösung aus diesem Kreislauf.

Die Anlage in My Son ist übersät von Bombenkratern aus dem Vietnamkrieg. Aus manchen sind inzwischen kleine Seen geworden. (Foto: Ruti)
Die Anlage in My Son ist übersät von Bombenkratern aus dem Vietnamkrieg. Aus manchen sind inzwischen kleine Seen geworden.

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